Wald im Wandel

Bewusstsein schaffen für den Zukunftswald


Der Wald ist im Umbruch. Die Stürme, Dürre und Schädlinge der vergangenen Jahre nagen großflächig vor allem an Fichten, aber auch Kiefern, Lärchen, Buchen. Wo einst dichte Nadelwälder rauschten, gibt es heute ausgedehnte Kahlflächen. Der „Oh- du-schöner“-Westerwald kann ein Lied davon singen. Aber auch andere Regionen in Rheinland-Pfalz – wie etwa das Mittelrheintal – sind mehr oder weniger stark betroffen. Forst-Experten setzen bei der Wiederaufforstung auf resistentere Gehölze – und auf Bürgerbeteiligung, wie Beispiele aus Boppard und dem Binger Wald zeigen.

Das Mittelrheintal ist aufgrund seiner geografischen Lage besonders vom Klimawandel heimgesucht. „Hier sterben bereits Buchen, Birken oder Eichen in natürlichen, von Laubholz dominierten Waldökosystemen“, berichtet Axel Henke, Leiter im Forstamt Boppard. Seine Behörde nutzt die entstandenen Kahlflächen, um die Waldökosysteme „umzubauen“: mit wärmeliebenden Baumarten wie heimischen Eichen, Elsbeeren und Kirschen bepflanzt, punktuell aber auch mit mediterraneren Baumarten wie Flaum- und Zerreichen. Sein Kollege Bernhard Naujack, kommunaler Förster im Revier Waldalgesheim im Binger Wald, hält bei der Umsetzung zudem viel von Maßnahmen, bei denen auch die Bürgerinnen und Bürger mitmachen können. Denn: „Das kommt gut an“, hat er erfahren.

Oktober 2019. Im Binger Wald färben sich langsam die Blätter. Die Eichen im RuheForst von Waldalgesheim werfen ihre Früchte zu Tausenden ins Laub. Das bringt Bernhard Naujack und sein Team auf eine Idee: Bei der (Wieder-) Aufforstung des Waldes soll ein gefiederter Verbündeter helfen. „Bis zu zehn Eicheln kann ein Eichelhäher in seinem Kehlsack transportieren, oft trägt er zudem noch eine im Schnabel“, berichtet der Revierförster. „Ein einziger Vogel kann bis zu 5.000 Eicheln in einem Herbst vergraben. Das ist sein Wintervorrat. Nicht alle versteckten Früchte benötigt er. Ein Teil bleibt im Waldboden vergraben und keimt.“ So optimiere und erweitere der „Wächter des Waldes“ seinen Lebensraum – und sorge für eine ganz natürliche Verjüngung der Eichenbestände.

Der Natur auf die Sprünge helfen

Bitte einwerfen: Bürgerinnen und Bürger unterstützen sammeln Eicheln und unterstützen damit die Wiederaufforstungen.

Per Aushang an markanten Stellen im Ort und über Medienberichte lädt Bernhard Naujack alle Bürgerinnen und Bürger seiner Gemeinde ein, Eicheln zu sammeln und diese in Sammelboxen an den Eingängen zum Ruheforst abzulegen. Die Eicheln werden von ihm und seinem Team auf selbstgebauten, hölzernen Tellern ausgelegt, von denen aus Eichelhäher sie im Wald verteilen und vergraben. „Die Leute waren begeistert von dem Plan“, sagt Naujack heute rückblickend. Die Sammelboxen wurden täglich voll; engagierte Bürgerinnen und Bürger stellten Körbe, Taschen und Säcke bis an den Rand gefüllt mit Eicheln daneben. Die Teller für die Eichelhäher waren von Tag zu Tag fürstlich gedeckt.

Naujack weiß, dass solche Aktionen allein nicht ausreichen, um seinen Wald fit zu machen für die kommenden Klimaanforderungen. Fast 120 Hektar seiner drei Waldreviere sind mit 60 bis 80 Jahre alten Fichten besetzt. Die schnell wachsenden Bäume waren seinerzeit vor allem als Wirtschaftsholz gefragt. Die Jahr für Jahr steigenden Durchschnittstemperaturen und  längere Trockenheitsperioden machen den Monokulturen zu schaffen. Die Bäume werden anfällig für Schädlinge wie den Borkenkäfer. Bei Stürmen knicken die kranken Bäume um wie Streichhölzer.

Die Bevölkerung macht mit

Deshalb: „Auch der kleinste Schritt trägt zu dem großen Ziel bei, die Wende im Wald zu schaffen“, sagt der 57-jährige studierte Forstwirt. Das Pflanzen von klimaresistenten Bäumen und Ausbringen ihrer Samen ist die eine Sache, die Pflege und Aufzucht ist die andere. „Das glaubt ja keiner“, erzählt Naujack, „wieviel Zeit und Arbeit nötig sind, um die Bäume auch ins Wachstum zu bringen.“ Im scheinbar so friedlichen Wald gibt es heftige Konkurrenz- und Überlebenskämpfe.

Auch dabei setzt Naujack auf die Unterstützung der Bevölkerung. So initiierte er zur Weihnachtszeit im letzten Jahr schon zum zweiten Mal die Aktion „Klimaweihnachtsbaum“: Hunderte Bürgerinnen und Bürger aus Waldalgesheim und dem Landkreis Mainz-Bingen zogen am vierten Advent unter strengen Corona-Hygienevorschriften und unter Anleitung des Forstpersonals in den Wald, um sich ihren Tannenbaum selbst zu schlagen. So konnten die jungen Eichen von der unerwünschten  Konkurrenz der schnell wachsenden Fichten befreit werden.

Akzeptanz und Bürgerbeteiligung stehen für Förster Naujack ganz oben auf der Tagesordnung. „Wir nehmen wahr, dass viele Menschen ihrem Wald gerne etwas Gutes tun und bei dem Kampf gegen den Klimawandel helfen wollen“, erklärt der Förster. „Mit solchen Aktionen nehmen wir sie konkret mit auf den Weg und schaffen Bewusstsein für den Wald der Zukunft.“

Winkelholzbande pflanzt im Hasenwald

„Was wir heute tun, entfaltet seine ganze Kraft erst für die nächste oder übernächste Generation“, sagt Dr. Walter Bersch, Bürgermeister von Boppard. Da erscheint es konsequent,  die Jüngsten mit einzubeziehen. Die „Winkelholzbande“, so der Name des dortigen Waldkindergartens, hilft analog zur Waldalgesheimer Aktion beim Wiederaufforsten.

Die Futtertafeln haben Forstleute gebaut, die Kinder befüllen sie. Und damit die Vögel nicht die ganze Arbeit allein erledigen müssen, haben die Kinder einen Teil der gesammelten Eicheln selbst eingepflanzt. So soll der vom Borkenkäfer besonders stark betroffene Bopparder Hasenwald bald wieder grün und stark dastehen.

Welche Baumart für das zukünftige Klima im Land geeignet ist – unter anderem mit dieser Frage beschäftigt sich das Rheinland-Pfalz Kompetenzzentrum für Klimawandelfolgen. Im Auftrag des Umweltministeriums wurden für zehn Laub- und sechs Nadelbaumarten Steckbriefe erstellt. Landesforsten empfiehlt, solche Baumarten punktuell ergänzend anzupflanzen – in begleiteten Praxisversuchen. Die Steckbriefe können hier heruntergeladen werden: http://www.kwis-rlp.de/index.php?id=12341&L=0


Die Kommunen

Die 4200-Einwohner-Gemeinde WALDALGESHEIM liegt in der Welterbe-Region Oberes Mittelrheintal, allerdings am Rand des Binger Waldes und nicht am Strom. Sie gehört der Verbandsgemeinde Rhein-Nahe mit Sitz in Bingen an. Der gemeindeeigene Wald umfasst 790 Hektar. Der Binger Wald ist ein beliebtes Ziel für Wandertouristen. Ortsbürgermeister Stefan Reichert berichtet stolz von den weiteren Energiewende-Aktivitäten seiner Kommune: Zehn Windräder sowie Freiflächen-Photovoltaik stärken über die daraus resultierenden Pacht-Einnahmen die Finanzkraft der Gemeinde; eine mit Holzhackschnitzeln befeuerte Heizzentrale liefert Wärme für mehrere Baugebiete.

Ansprechpartner
für das Eichelhäher-Projekt ist Förster Bernhard Naujack: Telefon 06724/2064704, mobil 0171/4942608, bernhard.naujack@waldaldesheim.de.

Die Stadt BOPPARD im Rhein-Hunsrück-Kreis ist der zweitgrößte kommunale Waldbesitzer in Rheinland-Pfalz. Seit mehr als 20 Jahren ist ihr Waldbestand nicht nur FSC-zertifiziert,  sondern zusätzlich nach den strengeren Regeln von „Naturland“.

Als Ansprechpartner stehen Bürgermeister Dr. Walter Bersch, Tel.: 06742 - 10333, wbersch@boppard.de, sowie Forstamtsleiter Axel Henke, Tel.: 06742 - 8013-16, mobil: 0173 - 324 86 21, axel.henke@wald-rlp.de, zur Verfügung.